Kantorowicz, Frieda geb. Ebenhöch - Deutschland

Frieda Kantorowicz wurde am 18. Juni 1905 in Göggingen geboren. Im März 1933 emigrierten Frieda und Alfred Kantorowicz nach Frankreich.
Sie folgte 1937 ihren Mann nach Spanien, der schon seit Dezember 1936 dort war. Frieda arbeitete im Generalkommissariat der Internationalen Brigaden in Madrid und Barcelona. Auch war sie als Sprecherin für das deutschsprachige Programm von Radio Madrid tätig. 1938 ging sie mit ihrem Mann Alfred Kantorowicz nach Paris. Bis 1939 arbeitete sie beim Hilfskomitee für deutsche Flüchtlinge in Paris.
Den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebte sie in Südfrankreich. Wie andere exilierte Deutsche in Frankreich wurde das Ehepaar interniert, konnte aber im Juni 1940 nach Marseille fliehen und anschließend in die USA ausreisen. Frieda Kantorowicz starb am 20. August 1969.

Friedel (Kantorowicz) arbeitete mit ihrem Mann, einem deutschen Schriftsteller, der nach vielen Kampfmonaten an der Front, jetzt in Madrid ein Buch schreibt.
„Eines Tages, im Sommer, erhielt ich die Erlaubnis, nach Spanien zu fahren. Der mir diese Nachricht überbrachte, fügte hinzu: „… wenn du noch Lust hast?“ Ich war so verwirrt vor Freude, dass ich nicht gleich die richtige Antwort fand.
Wie war das gewesen all die Monate, seit unsere Männer nach Spanien gegangen waren, um sich dort einzureihen in den Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit des spanischen Volkes?
Waren wir Frauen nicht oft fast verzweifelt, dass man uns nicht auch dorthin ließ, um mitzuarbeiten in diesem entscheidenden Kampf, den wir auch als „unseren“ Kampf erkannten? Viele dachten wie ich: Unter Anspannung aller Kräfte könnte ich vielleicht den Platz eines Kameraden im Hinterland ausfüllen, der dringend an der Front gebraucht wird? Doch mussten wir uns zunächst damit abfinden, in Paris zu bleiben. Wir schlossen uns zu einer Gruppe zusammen, um von Paris aus die Hilfsaktion für das kämpfende republikanische Spanien zu unterstützen. Diese Gruppe war kein „Verein der trauernden Hinterbliebenen“, sondern wir arbeiteten. An der Landkarte ließen wir uns die Fronten erklären, wir kannten jedes Dorf, in dem Kämpfe stattfanden.
An einem Sommertag kam die Nachricht, dass ich fahren könne. Lachend rannte ich durch die Straßen, denn jetzt musste alles sehr schnell gehen. Mittags hatte ich die Nachricht erhalten, gegen Abend sollte ich fahren. Also schnell nach Hause, ein paar Sachen in ein winziges Köfferchen geworfen und los auf die Bahn. Dort traf ich mich zum Abschied mit den drei besten Freunden; Mein „Auf Wiedersehen“ hat wohl nicht sehr traurig geklungen?
Wir kommen in Valencia an. Am nächsten Mittag nimmt mich ein Camion erst mal mit bis Albacete.
Wie aber kann ich jetzt die letzte Strecke Weges, die mich noch von meinem Ziel trennt, zurücklegen? Ein deutscher Kamerad nimmt mich mit Das bedeutet, sich rasch die nötigen Papiere zu beschaffen, denn es ist gar nicht so leicht für eine Frau nach Madrid hineinzukommen. Punkt sechs Uhr geht es los.
Ich fahre nach Madrid! Ich träum doch nicht etwa? Fahre ich wirklich nach Madrid? Nein, nein, das Auto ist echt. Echt ist vor allem auch der spanische Chauffeur, der mit wunderbarer traurig klagender Stimme Flamencos singt. Ich drehe mich rasch um. Ja, der deutsche Kamerad ist auch da, er sitzt hinter mir und fragt schon seit einer ganzen Weile eine Menge Dinge, die ich überhört hatte.
Langsam wird es dunkel. Und langsam werden wir stiller. Hin und wieder noch ein Satz. Bald schweigen wir alle Drei. Ich kann nicht ergründen, an was die beiden anderen denken. In mir selbst steigen so viele Fragen auf: Madrid, dieser Mythos Madrid, wie ist es in Wirklichkeit? Wie sieht diese Stadt aus, wie vor allem die Menschen, die heute in dieser Stadt leben? Da passieren wir die erste Kontrolle.
Wir fahren durch die ersten Vorstadtstraßen. Ich sitze vornübergebeugt, starre durch die Scheibe vor mir. Stockdunkel. Nirgends ein Licht. Der Scheinwerfer abgeblendet. Kaum kann man die Umrisse der Häusers erkennen. Aber man kann beim gelegentlichen Aufblenden des Scheinwerfers erkennen, dass diese Häusers zerschossen sind, dass von einigen nur noch die Fassade steht, mit leeren Fensterhöhlen, dahinter sieht man den Sternenhimmel. Und unter diesem Sternenhimmel den Trümmerhaufen der eingestürzten Stockwerke, die Menschen unter sich begraben haben.
Der Hass steigt auf, der Hass gegen diese Bestie Faschismus, die ihre ganze Barbarei gegen diese Stadt austobt, die sie nicht erobern kann und deshalb vernichten will.
Inzwischen sind wir auf breiten Straßen. Die Häusers ragen ins Dunkel, verschlossen alle Fensterläden, nirgends ein Mensch zu sehen. Ist sie ausgestorben, diese Stadt? Nein, man spürt die Härt dieser Stadt an der Front, die sich in eine Festung verwandelt hat. Man spürt: aus diesen verschlossenen, scheinbar unbewohnten Häusern werden die Menschen beim Nahen einer Gefahr für ihre Stadt herausströmen und sich dieser Gefahr entgegenwerfen. Kampfeswille, das ist es, was man spürt, in so starkem Masse, dass man kaum noch Atem holen kann.
Wir halten vor einem Palais. Der deutsche Kamerad erklärt mir, dass hier jetzt die Büros der „Alianza de los intelectuales antifascistas“ sind und dass hier auch die Kameraden Regler und Kisch wohnen. Hier könnte man also wohl auch Auskunft bekommen, wo mein Mann sich befindet.
Der Kamerad klopft den Portier heraus. Es ist Mitternacht und erfährt, dass mein Mann gerade zu Besuch bei den Freunden ist. Wir gehen durch das weitläufige Palais auf Zehen die Treppen hinauf, stehen plötzlich im Türrahmen. Die Freunde, die mit dem Gesicht zur Tür sitzen, starren mich an, als wäre ich ein leibhaftiges Schlossgespenst, das um Mitternacht erscheint.
Mein Mann merkt wohl an dem Ausdruck ihrer Gesichter, dass etwas vorgeht. Er sitzt als einziger mit dem Rücken zur Tür, dreht sich rasch um, stutzt, scheint im ersten Augenblick gar nicht zu begreifen, dass ich es wirklich bin. „Bist Du endlich da“ sagt er dann und nimmt mich in die Arme. Dann geht das Fragen und Erzählen los.
Am nächsten Morgen fahren wir hinaus in das Kinderheim der XI. Brigade, vor Madrid. Mein Mann arbeitete, nach seiner Verschüttung durch eine Fliegerbombe bei der Brunete-Offensive, an einem Buch über das Bataillon «Tschapajew» der XIII. Brigade, dem er als Offizier angehört hatte. Gleichzeitig hatte er den Auftrag, dieses vor kurzer Zeit ins Leben gerufene Kinderheim mit zu leiten.
Ich hatte die Erlaubnis bekommen, dort einige Zeit zu bleiben und an dem Buch mitzuhelfen, bis ich endgültig in die Arbeit eingegliedert werde.
Während der nächsten Wochen habe ich neben meiner Arbeit Gelegenheit, das Kinderheim der XI. Brigade genau kennen zu lernen, mit den Kindern in engen Kontakt zu kommen und auch mit den spanisches Kameradinnen, die dort selbstlos und voll Aufopferung gemeinsam mit den Internationalen arbeiten, um diesen Kindern, die die Härten des Krieges nur allzu gut kennen, das Leben wieder leichter und unbeschwerter zu machen.
Hier sehe ich am praktischen Beispiel, was die Frauen während des Krieges leisten können, während die Männer an den Fronten kämpfen. Eine Große und schön Aufgabe mitten im Krieg solche Aufbauarbeit zu leisten.
Die Kinder haben sich schnell in ihr neues gemeinsames Leben hineingefunden. Die Größeren betreuen mit rührender Sorgfalt die ganz Kleinen; niemals zanken sie sich um eine Sache, es ist für sie eine Selbstverständlichkeit, dass all die Dinge, die sie bekommen, gerecht geteilt werden. Alles ist für alle da, darin sind sie beispielgebend selbst für die Erwachsenen. Sie arbeiten selbstständig, ihre Wandzeitung machen sie allein, sie zeichnen und malen, sie singen und tanzen, sie haben Schulunterricht und Gymnastikstunde und während ihrer Freizeit tollen sie in dem riesigen Park herum.
Der Abschied von ihnen und den spanischen Kameradinnen würde schwerer fallen, wäre da nicht die Entscheidung, dass ich nun in Madrid arbeiten werde.
Ich war sehr froh, nun hier meine Arbeit aufnehmen zu können. Diese Arbeit wäre in Paris die ganz gewöhnliche Arbeit einer Sekretärin. Hier in Madrid, in dieser Stadt an der Front (meine Arbeitsstelle ist vom ersten Schützengraben wohl nicht mehr als 2000 Meter entfernt), bekommt sie einen anderen Inhalt: den, dabei sein zu dürfen bei diesem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit des Landes Spanien und damit des Heimatlandes Deutschland. Das legt Verpflichtungen auf, den ganzen Einsatz, der keine Müdigkeit und kein Nachlassen kennen darf.
Doch das wird selbstverständlich hier in Madrid, das nun im zweiten Kriegswinter friert, weil es keine Kohlen gibt, das im zweiten Kriegswinter sich nicht satt essen kann, das nach wie vor beschossen wird—und das heute, entschlossener denn je, trotzigen Widerstand leistet.
Zu meiner alltäglichen Arbeit kommt hin und wieder abends das Sprechen im Radio. Jedes Mal aufs neue empfinde ich eine unbändige Freude schon beim ersten Satz „Hier spricht Madrid—die Stimme des republikanischen Spanien“.
Ja. Madrid spricht zur ganzen Welt, Abend für Abend, ganz gleich, ob die feindliche Artillerie in die Stadt hereinschießt und man die Einschläge und das Krachen zusammenstürzender Mauern ganz nahe hört, und es wird solange sprechen, bis es eines Tages der Welt verkünden wird, dass es befreit ist, und dass mit ihm ganz Spanien befreit ist.
Diesen Tag näher zu rücken, dazu sind wir hergekommen. Diesen Tag gemeinsam mit unseren spanischen Brüdern miterleben zu dürfen. das wird uns neue Kräfte geben, auch in unserem Heimatland den Kampf um die Befreiung vorwärts zu treiben. Was jeder Einzelne dazu tun kann, das hat er zu tun mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der Madrid sein Leben weiterlebt.

FRIEDEL
(Auszug aus „Wir kämpften mit! Antifaschistische Frauen vieler Nationen berichten aus Spanien“ von Gusti Jirku, S. 50- 55)

 

Quellen: Alfred Kantorowicz - ein deutsches Schicksal von Klaus Körner;
Werner Abel&Enrico Hilbert "Sie werden nicht durchkommen“ - Bd. 1 Verlag Edition AV 2015;
Jews in The Spanish Civil War - Marxists Internet Archive
Moskauer Archiv RGASPI. F. 545. Op. 6. Ä. 30, RGASAPI. F. 545. Op. 6. D. 348, RGASAPI. F. 545. Op. 6. D. 354